„Atemberauschend" (bilingual)
SA 08.06.2019 22 Uhr Berliner Philharmonie

Gestern Nacht standen 13 Mitglieder der Berliner Philharmoniker in einem Late Night Konzert auf der Bühne ihres Mutterschiffs. Die Schoten hatte der Dirigent und Komponist Christian Jost in der Hand und steuerte den Dampfer durch die laue, bald stürmische Nacht. Jost brachte den jungen, mir noch nicht bekannten Jazzpianisten Michael Wollny aus Leipzig mit an Bord, der seine eklektische Musik auf einem (z)hartbesaiteten schwarzen Ungetüm der Marke Steinway & Sons zum Besten gab. Der D-274 wird auch gerne mit einem Tier verglichen. Nun, Wollny, selbsternannter Romantiker, Tierbändiger, haute in die 88 Tasten und griff in die rohen Saiten, ich weiß, ich hätte ihn als in-der-Musikszene-Unterwegsler eigentlich kennen müssen. Aber man lernt ja nie aus.
Ich kannte Jost persönlich aus dem Jahre 2011, als er einen meiner Filme über einen exzentrischen Hippie im Dunstkreis von Stanley Kubrick und John und Yoko Lennon musikalisch veredelte, indem er den deutschen Expressionismus maestralisch mit Inbrunst wiederbelebte. Danach inspirierte er mich dahingehend, ein Portrait über ihn anzufertigen, das es fast geschafft hätte, von ARTE produziert zu werden, wäre da nicht die banausische Musikredaktion unter der Fuchtel von D.D. des RBB gewesen, die uns aus heiterem Himmel den Stecker gezogen hatte. Unsere nouvelle Freundschaft, welche mit kultischen Trainingsfahrten auf Carbon-Rädern und meinem eigens dafür gekauften klaviaturfarbenen Trikot durch den Grunewald begann, kam zum jähen Stillstand. Seither leider Funkstille.
Die Namen der Stücke von gestern Abend lasen sich so: Der Wanderer, Nachtfahrten, Fatigue, Nocturnal City, Nocturnal Forest, Engel, Der Wanderer (Reprise), Sirenes und versprachen laut der Intro von Wollny eine romantische Reise mit Abgründen. Die Trivia, die als Einleitung der Musik kurz und knackig mit Mics vorangestellt wurde, war eher arttyisch für ein Jazzclubkonzert. Nach den Riffs und Takes wurden erwartungsgemäss die Solisten mit Namen vorgestellt und beklatscht, so, wie es sich für den Jazz gehört. Wir hielten uns an unserem spartanisch gestalteten Programmheft fest und ahnten vielleicht oder vielleicht nicht, das ist hier die Frage , wo die Reise hingehen könnte. Überraschend für mich war, dass fast alle Plätze des Sharounschen Pentagons, was 1963 mit Beethovens 9ter wahrscheinlich unter Karajan eröffnet wurde, von den kulturhungrigen Berlinern besucht waren. Das von Andrea Zietzschmann geführte Haus ist weltberühmt für seine zentral angeordnete Bühne, die von weinbergigen Rängen umgeben ist, was eine Nähe zwischen Künstler und Publikum schafft, aber so manchem Klangmeister wie Otto Klemperer oder Paul Hindemith gegen den Strich ging. Verständlich. Wer will denn vom H&K Block aus einer Symphonie zuhören ohne von den Bässen und Bläsern überrumpelt zu werden und dann auch noch alles seitenverkehrt? Naja, damalige Normen und Formen (Bem.: der berühmte Ausspruch “form follows function“) wurden irgendwann zu Reformen und bis heute masslos und sinnlos kopiert.
Der vielschreibende und vielbeschäftigte Komponist und Dirigent Jost und der talentierte Wollny wählten bewußt diesen amorphen Stadtort als Sprachrohr für ihre "dunkle Kammermusik mit dem Gefühl größtmöglicher Freiheit“ (WAS GEHT HEUTE AB? BERLIN: https://www.wasgehtheuteab.de/berlin/e/eaa27c3d-f4dd-46db-94df-eeb8192cb654 ), der auch Uraufführung und Weltpremiere einiger ihrer Stücke wurde. Das Programm begann mit einer gefälligen Collage von Wollny mit dem Titel Der Wanderer und im anschließenden Nachtfahrten bekam das Dargebotene mit dem Weltklang von Jost immer mehr ein vielschichtiges Gesicht. Jost nahm uns in seiner 2-aktigen Nocturnal Suite auf eine Reise in den Bauch einer imaginären Großstadt. Beim Auftakt lehnte ich mich zurück, schloss ich die Augen und fühlte mich nach Paris versetzt bei einem abendlichen Spaziergang durch den Montmartre, dann wurden die Cafes geschlossen und Jalousien runtergelassen und ich sprang ausgesperrt und einsam in die Metro, die mit Getöse und Quietschen durch die Arabische Nacht der Pariser Vorstädte raste und mich in Shanghai raus lies. Dort war das Leben voll am Brodeln und Ticken, wie ich mich bis ins Morgengrauen durch die Menschenmassen und Garküchen quetschte und erschöpft auf einer Lichtung zusammenklappte. Im zweiten Akt der Suite befanden wir uns titelarisch in einem Wald. Man wurde immer wieder von seinem jazzigen Flügelhorn geführt und getragen und spürte in seiner Musik eine Distanz, eine Zerrissenheit, eine Suche nach Sinn und eine Wallung von Gefühlen. Josts Worte dagegen klingen eher intellektuell: „Suche nach dem magischen Moment, basierend auf einem komplexen, differenzierten Verhältnis aus Struktur, Form und Klang“ (aus ACT In the Spirit of Jazz: aus ACT In the Spirit of Jazz: https://www.actmusic.com/en/News/Artist/Weltpremiere-Michael-Wollny-trifft-Christian-Jost-Mitglieder... ) Aber der wahre Wert seines kompositorischen Unterfangens liegt im Wesen des Lebens und Der Musik.
"Breath-intoxicating" (english translation)nglish translation)
Last night, 13 members of the Berliner Philharmoniker performed in a late night concert on the main stage of their mothership. Conductor and composer Christian Jost held the ropes tight in his hands and steered the steamer through the tepid, soon stormy night. Jost brought on board the young, by me not yet known jazz pianist Michael Wollny from Leipzig, who performed his eclectic music on a hard-wired black monster by Steinway & Sons. The D-274 is also often compared to an animal. Well, Wollny, self-proclaimed romanticist, animal tamer, hit the 88 excited keys and occasionally grabbed the raw strings. I know I should have known him before this event as an in-the-music-scene-wayfarer. But you never stop learning.
I knew Jost personally back in 2011 when he scored one of my films about an eccentric hippie in the haze of Stanley Kubrick and John and Yoko Lennon, reviving the mood of German Expressionism with majestic gusto. After that, he inspired me to make a portrait of him that almost made it to the screen produced by ARTE, had it not been for the ludicrous editor at the RBB, who pulled the plug out of the blue. Our nouvelle friendship, which began with cultic training rides on carbon race bikes in my emblematic piano key coloured jersey through the Grunewald, came to a sudden halt. Someone pushed the mute button.
The names of the songs from yesterday evening read like this: Der Wanderer, Nachtfahrten, Fatigue, Nocturnal City, Nocturnal Forest, Engel, Der Wanderer (Reprise), Sirenes
and according to the intro of Wollny promised a romantic journey edging the abysses. The trivia, which was preceded by a brief miced introduction to the music, was jazzy club talk. After riffs and takes, as expected, the soloists were introduced by name and applauded. We clung to our Spartan-designed program and might have guessed, or maybe not, where this whole journey might go. It was surprising to me that almost all seats in Sharoun's Pentagon, which opened in 1963 with Beethoven's 9th under Karajan, were occupied by the culture-hungry Berliners. The house, run by Andrea Zietzschmann, is world-famous for its centrally located stage, surrounded by vineyard-like sections, which supposedly creates a closeness between the artist and the audience, but sound masters like Otto Klemperer or Paul Hindemith went bonkers. Understandable. Who wants to listen to a symphony from the H & K block without being overwhelmed by the bass and brass, and everything flipped? Well, norms and forms (Quoting the famous saying "form follows function") were eventually crafted into reforms and to this day mind- and meaninglessly copied.
The prolific and busy composer and conductor Jost and the talented Wollny consciously chose this amorphous location as a mouthpiece for their "dark chamber music with the feeling of the greatest possible freedom" (WHAT'S GOOD TODAY? BERLIN: https://www.wasgehtheuteab.de/berlin/e/eaa27c3d-f4dd-46db-94df-eeb8192cb654
), which also world premiered some new pieces. The program began with a pleasing collage by Wollny titled Der Wanderer,
and in the subsequent night ride Jost took us on a journey into the belly of an imaginary city in his 2-act Nocturnal Suite.
Here I leaned back, closed my eyes and was teleported to Paris on an evening stroll through Montmartre until the cafes closed and guards went down. Locked out and lonely I jumped in the Metro, which raced through the Arabian Nights of the Parisian suburbs and let me out in Shanghai. There life was full on as I squeezed myself through the crowds and food stalls until dawn and laid down exhausted in a clearing. In the second act of the suite, we were in a forest. I was constantly led and carried by Jost’s jazzy flugelhorn. I felt in his music a distance, a turmoil, a search for meaning and a burst of emotions. Jost's words, on the other hand, sound more intellectual: "Searching for the magical moment, based on a complex, differentiated relationship between structure, form and sound" (from ACT In the Spirit of Jazz: from ACT In the Spirit of Jazz: https://www.actmusic.com/en/News/Artist/Weltpremiere-Michael-Wollny-trifft-Christian-Jost-Mitglieder...
). But the true value of his compositional endeavor lies in the nature of life and Music.
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